
"Stellen Sie sich vor, Sie gehen heute Abend müde, aber zufrieden ins Bett, schlafen ohne Probleme ein- und wenn Sie morgen früh aufwachen, sind Sie so verwandelt, wie Gregor Samsa in der Kafka-Erzählung „Die Verwandlung“. Sie liegen wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken, Ihre ganze rechte Seite ist unbeweglich. Sie können sich nicht drehen und können nicht aufstehen. Ihre Familie steht erschreckt um Sie herum. Sie erklären, was los ist, aber niemand hört Ihnen zu- man versteht Sie nicht. Und sie merken, dass die anderen eine Sprache sprechen, die Sie nicht verstehen. Ihnen ist übel, sie müssen dringend ins Bad- aber Sie haben keine Möglichkeit, Ihre Probleme den anderen klarzumachen, weder mündlich noch schriftlich, noch durch Gesten. Sie fühlen sich ausgeschlossen, sind total einsam und hilflos und Sie wissen nicht, wie Sie in diesen Zustand hineingeraten sind und ob er je wieder aufhören wird.
Kafkas Schreckensvision ist nicht so absurd, wie Sie auf den ersten Blick erscheint. Wenn aphasische Patienten auf der neurologischen Station schreiben könnten, würden sicherlich einige solche Berichte verfassen.“
Dieser Auszug aus dem Buch „Das Schweigen verstehen“ von Luise Lutz erschienen im Springer-Verlag schildert sehr plastisch, wie stark ein Patient durch die Folgen z.B. eines Schlaganfalls, der die Aphasie ausgelöst hat, betroffen sein kann.
Was genau ist eine Aphasie?Die Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die nach abgeschlossenem Spracherwerb auftritt. Aphasie heißt wörtlich: „Verlust der Sprache“.
Sie tritt nach einer Hirnschädigung (meist der linken Hemisphäre) auf (z.B. durch einen Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma).
Ein Patient, der unter dieser Sprachstörung leidet, kann oft nicht mehr wie gewohnt sprechen, Sprache verstehen, lesen oder schreiben.
Das Denken und das persönliche Wissen sind bei einer isoliert auftretenden Aphasie nicht betroffen.
Wie erkenne ich eine Aphasie?
Das Erscheinungsbild einer Aphasie kann sehr verschieden sein.
Grob unterteilt man die Aphasie in 4 Typen:
Die globale Aphasie:Dies ist die schwerste Form der Aphasie. Sie entsteht bei Verschlüssen der Arteria cerebri media.
Der Patient ist oftmals nur noch in der Lage, einzelne Worte, automatisierte Redewendungen und Floskeln (z.B. „ja/nein“ „Guten Tag“ , Aufzählen der Wochentage, Zählen…) expressiv zu äußern. Das Sprachverständnis ist ebenfalls sehr stark betroffen- einfache Anweisungen wie „Zeigen Sie auf den Tisch“ können oft nicht mehr korrekt verarbeitet und umgesetzt werden.
Das korrekte Lesen und Schreiben ist in den meisten Fällen ebenfalls nicht mehr möglich.
Die Broca- Aphasie:Man bezeichnet diese auch als motorische Aphasie. Sie tritt ein, wenn eine Schädigung im Bereich der A. praerolandica vorliegt.
Das Sprachverständnis ist oftmals gut erhalten und nur geringfügig eingeschränkt.
Die Schwierigkeiten liegen eher im expressiven Sprachbereich. Der Patient zeigt viele Wortfindungsstörungen (z.B. erkennbar durch das Suchen nach Wörtern, durch Umschreibungen, aber auch dem Einsatz von semantischen Paraphasien (nicht passenden Wörtern)wie z.B. „Bett“ statt „Tisch“.
Das Sprechen erfolgt meist agrammatisch, im so genannten „Telegramm-Stil“, d.h. es werden Hauptwörter aneinander gereiht, Funktionswörter fehlen meist (z.B.“ Abend…..Tankenhaup…..Aua…. und…nach Hause… ähhh….nein….“ anstelle von „Am Abend bin ich ins Krankenhaus gekommen weil ich starke Schmerzen hatte…“
Zudem werden Wörter oftmals in ihrer Aussprache (phonematische Paraphasie) verändert (z.B. „Tankenhaup“ statt „Krankenhaus“). Manchmal tritt zusätzlich hierzu noch eine Dysarthrie auf, die die Laute zusätzlich entstellt.
Menschen mit einer Broca-Aphasie ist eine deutliche Sprechanstrengung anzusehen.
Die schriftsprachlichen Leistungen sind meist in ähnlicher Weise gestört wie die lautsprachlichen.
Die Wernicke- Aphasie:Auch als sensorische Form bezeichnet. Sie tritt hervor, wenn der Versorgungsbereich der Arteria temporalis posterior betroffen ist.
Das Leitsymptom der Wernicke-Aphasie ist eine flüssige, überschießende Sprache mit vielen falsch benutzten Wörtern (s. g. semantischen Paraphasien)oder Wortneuschöpfungen wie „Brothüpfmaschine zu Toaster“ . Zudem treten auch viele lautlich entstelle Wörter auf (s. g. phonematische Paraphasien).
Wernicke- Aphasiker haben die Tendenz zum Ineinanderschachteln von Wörtern, Satzteilen und Sätzen („Paragrammatismus“).
Das Sprachverständnis ist eingeschränkt.
Die Betroffenen haben oftmals kein Störungsbewusstsein und bemerken ihre eigenen Schwierigkeiten nicht in ganzem Ausmaß.
Die amnestische Aphasie:Dies ist die leichteste Form dieser Sprachstörung. Sie kann weniger als die anderen Formen einer bestimmten Hirnregion zugeordnet werden.
Aphasiker mit dieser Störung haben das Problem, dass sie genau die Wörter, auf die es ankommt, nicht abrufen können, da ihre Wortfindung gestört ist. Die betroffenen stocken, wenn sie nach dem gewünschten Wort suchen und haben gute Ersatzstrategien. Die eingesetzten Wörter liegen meist sehr nah am Zielwort (z.B. „Becher“ für „Glas“).
Das Lesen und Verstehen sind bei dieser Form der Aphasie in der Regel nicht betroffen.
Was kann noch beeinträchtigt sein?Einige Betroffene haben zudem eine Hemiparese (Halbseitenlähmung) auf der rechten Seite, wodurch enorm eingeschränkt sind, z.B. auch im Wiedererlernen des Schreibens.
Zudem können Veränderungen und Einschränkungen in folgenden Bereichen als Begleiterscheinungen auftreten: Konzentration, Gedächtnis, Hören und Sehen, in der räumlichen Orientierung, sowie im Umgang mit Zahlen und dem Rechnen
Das Gefühlsleben der Betroffenen ändert sich sehr stark; viele fühlen sich nicht mehr als vollwertiger Mensch und scheuen den Umgang mit anderen.
Hierfür gibt es inzwischen einige Selbsthilfegruppen, die den Kontakt zu anderen Betroffenen herstellen. Wir beraten Sie gerne und helfen Ihnen bei der Suche nach einer solchen Gruppe, sowie einem speziell für Sie geeigneten Therapieansatz!